Das Thüringische Wörterbuch

Das Kulturgut der Dialekte und Regionalsprachen in Thüringen

von Maximilian Gränitz

Die Dialektgebiete im Arbeitsgebiet des Thüringischen Wörterbuches (Quelle: Arbeitsstelle Thüringische Dialektforschung)

Die Dialektgebiete im Arbeitsgebiet des Thüringischen Wörterbuches (Quelle: Arbeitsstelle Thüringische Dialektforschung)

Wenn sich in diesem Jahr am 25. Oktober der Freistaat Thüringen die Ehre zum 20. Jahrestag der Verfassung gibt, so denkt der Thüringer unweigerlich an seine Vergangenheit. Für lange Zeit in Kleinstaaterei lebend, sucht er doch nach Eigenschaften, die ihn auszeichnen. Die Thüringer in ihrer „multilateralen“ Geschichte pflegen auch nach der politischen Wende ihre Traditionen und wollen ihre Eigenheiten nicht so einfach einer nun gemeinsamen, thüringischen Geschichte unterordnen. So auch in den Dialekten und Regionalsprachen. Auch über die Grenzen hinaus spricht man Nord-, Nordost- oder Ostthüringisch; im Süden beeinflusst der fränkische Sprachraum die Dialekte bis zum Rennsteig.

Dialektale Unterschiede beim Wort "Frau" (Quelle: Arbeitsstelle Thüringer Dialektforschung)

Dialektale Unterschiede beim Wort „Frau“ (Quelle: Arbeitsstelle Thüringer Dialektforschung)

Die schwierige Situation der vielen Dialekte und deren räumliche Eingrenzung wurde im „Thüringischen Wörterbuch“ in einem wissenschaftlichen Langzeitprojekt dargestellt. Es gilt seit seiner Fertigstellung 2005 als wichtigstes Nachschlagewerk für Sprachwissenschaftler, insbesondere Germanisten. Es bietet auch Volkskundlern und Heimatforschern viele Informationen über regionale Wortmarkierung, das heißt insbesondere die facettenreichen Unterschiede eines Wortes wie „Frau“ im großen Thüringer Dialektraum.

106 Jahre Jenaer Dialektforschung

Der Verein für Thüringische Geschichte und Altertumskunde initiierte 1907 in Jena die Gründung einer thüringischen „Wörterbuchkanzlei“. Ein Rundschreiben für die dialektinteressierte Öffentlichkeit und Sprachwissenschaftler machte dieses Projekt, welches nach 98 Jahren vollendet herausgegeben werden konnte, in Thüringen bekannt. Um eine möglichst tiefgründige und flächendeckende Erfassung der einzelnen Dialekte zu erreichen, wurden zwischen 1913 und 1926 mittels Fragebögen Ergebnisse aus rund 2000 Ortschaften zusammengetragen. Das Einzugsgebiet ging über die heutigen Landesgrenzen bis in die unterfränkische Gegend um Ostheim vor der Rhön und im Nordosten bis an den Harz und das Saale-Unstrut-Land. Ebenso wurden historische Dokumente (zu erwähnen seien hier besonders ein Erfurter Weistum von 1289 und die „Düringische Chronik des Johannes Rothe“ um 1400) als Spiegel zeitgenössischer Amts- und Rechtssprache einbezogen.

Beispiel für einen Fragebogen (Quelle: Arbeitsstelle Thüringische Dialektforschung)

Beispiel für einen Fragebogen (Quelle: Arbeitsstelle Thüringische Dialektforschung)

Glück im Unglück

Die beiden Weltkriege brachten das Vorhaben zum Schwanken, da erhebliche Bestände von zwischenzeitlich mindestens 86.000 Originalzetteln verloren gingen. Das 1951 gegründete, nunmehr der Friedrich-Schiller-Universität Jena zugehörige „Institut für Mundartforschung“, hatte nun durch den Universitätsbetrieb ein vergrößertes Feld an Mitarbeitern und Quellen zur Verfügung. So konnte auch immer wieder auf dialektgeographische Werke von Sprachwissenschaftlern zugegriffen werden.

1962 war der Archivbestand auf fast eine halbe Million Wörterbuchzettel angewachsen, sodass schon vier Jahre später mit der Publikation des Buches begonnen wurde. Institutsleiter Karl Spangenberg betreute die Forschungsarbeiten für 24 Jahre und konnte bis 1990 drei der insgesamt sechs Bände veröffentlichen.

Offene Grenzen – neue Perspektiven

Die 90er Jahre waren von intensiver Wörterbucharbeit geprägt. Außerdem entstanden nebenher eine Reihe von Sammelbänden mit Beiträgen der Projektmitarbeiter, ebenso von Forschungspartnern und Studenten über aktuelle Tendenzen in der Sprachentwicklung in Thüringen. So stellte sich nach der politischen Wende 1990 auch die interessante Frage, ob sich in den grenznahen Gebieten, die vorher zum selben Sprachraum gehörten, Unterschiede in den einzelnen Dialekten und regionalen Sprachen entwickelt hatten. Im letzten Jahrzehnt der Forschungsarbeit erhielten die Projektmitarbeiter fachliche und finanzielle Unterstützung durch Zusammenarbeit mit der Deutschen und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften in Berlin und Leipzig. Die Einrichtung eines „Sprachdienstes“, der Informationen zur Etymologie von Flur- und Personennamen gab, weckte erneut das Interesse des dialektinteressierten Publikums.

Die Zukunft der Thüringer Dialekte

Beispielseite aus dem Thüringischen Wörterbuch (Quelle: Arbeitsstelle Thüringische Dialektforschung)

Beispielseite aus dem Thüringischen Wörterbuch (Quelle: Arbeitsstelle Thüringische Dialektforschung)

Susanne Wiegand, Leiterin des Thüringischen Wörterbuches von 2002 bis 2005, fasst die Zukunft der Thüringer Dialektforschung wie folgt zusammen: „Auch und gerade nach erfolgreichem Abschluss des Wörterbuchprojektes sollten die dialektologisch-soziolinguistischen Forschungen an einer renommierten thüringischen Universität, wie der Friedrich-Schiller-Universität, fortgesetzt werden. Thüringen braucht auch weiterhin eine Forschungsstelle, die die Entwicklung der regionalen Sprache und der damit unmittelbar verflochtenen Alltagskultur in den thüringischen Dörfern und Städten wissenschaftlich untersucht. Dabei sollten die langjährigen Traditionen einer konstruktiven interdisziplinären Zusammenarbeit mit dem Bereich Volkskunde/Kulturgeschichte an der Universität Jena fortgeführt und weiter ausgebaut werden. Das in vielen Jahrzehnten gesammelte reiche Datenkorpus ist längst nicht hinreichend ausgewertet und bietet auch nach dem Thüringischen Wörterbuch eine Basis für anspruchsvolle regionale Forschungen. Es sollte als Dokumentationsstelle der Sprache Thüringens, sowohl der Wissenschaft, als auch der dialektinteressierten Öffentlichkeit, weiterhin zur Verfügung stehen.“

Die Thüringer sind durch politische und geschichtliche Odysseen zu einem Schmelztiegel für Bräuche, Sitten und Mundarten geworden. Was früher eine Hürde war, ist heute ein Kulturgut, das uns als Deutsche und speziell als Thüringer auszeichnet. Der Verdienst des Thüringischen Wörterbuches ist es, die vielen kleinen Unterschiede innerhalb des Großraumes Freistaat zu durchleuchten und auf ein Erbe hinzuweisen, das wir möglichst bewahren und achten müssen.

Zum Weiterlesen:

Thüringisches Wörterbuch, hrsg. von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Sprachwissenschaftliche Kommission. Auf Grund der von V. Michels begonnenen und H. Hucke fortgeführten Sammlungen, Bearbeitung unter der Leitung von K. Spangenberg, W. Lösch u. S. Wiegand. Berlin: Akadamie-Verlag 1966-2006, 6 Bde.

Karl Spangenberg: Kleines thüringisches Wörterbuch. Rudolstadt, Jena: Hain Verlag 1994.

Rosenkranz, Heinz: Der thüringische Sprachraum. Untersuchungen zur dialektgeographischen Struktur und zur Sprachgeschichte Thüringens. Halle 1964. (= Mitteldt. Studien XXVI).

Zum Entdecken:

Die Homepage der Arbeitsstelle Thüringische Dialektforschung lädt zum Stöbern ein und bietet Links auch zu anderen Wörterbuchprojekten.

Zum Autor: Maximilian Gränitz studiert Germanistik und Philosophie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und ist Mitglied der Gesellschaft Kulturerbe Thüringen e.V.

Ein Kommentar (+deinen hinzufügen?)

  1. Lothar Liebmann
    Dez 03, 2013 @ 19:26:56

    Guten Tag !
    In Bad Blankenburg wohnend, kommt mir hin wieder das Dialekt(?)-Wort „Hewittchen“ zu Gehör. Es bezeichnet vermutlich etwas abfällig ein Kleidungsstück. Ist dieser Ausdruck – so oder ähnlich geschrieben – dem Thüringer Dialektwörterbuch bekannt?
    Für einen Hinweis dankbar ist Ihnen…

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