Eine Biografie über Caroline von Humboldt
von Florian Scherübl
Dagmar von Gersdorff schreibt die Biografie der Caroline von Humboldt, der Gattin des Universitätsgründers, Gelehrten und Politikers Wilhelm. Von der Außergewöhnlichkeit dieser Frau ist viel die Rede, doch wird sie nur selten greifbar.
Die gebildete Frau im 18. Jahrhundert
Dagmar von Gersdorff, die sich schon mit Lebensbeschreibungen über Goethes Mutter und Ulrike von Levetzow (der späten Geliebten des Dichterfürsten und Muse der Marienbader Elegie), hervorgetan hat, legt mit ihrem Buch zu Caroline von Humboldt nunmehr eine Biografie der Frau des berühmten Sprachforschers und preußischen Politikers Wilhelm vor. Angesichts der Tatsache, dass es kaum neuere Biografien über weit einflussreichere Personen der Zeit gibt – Schelling, Hegel oder Hölderlin etwa – steht für den kritischen Leser zunächst die Frage nach der Berechtigung der Wahl des Gegenstandes im Raum. Dagmar von Gersdorff gibt die Antwort gleich auf den ersten Seiten. Handelt es sich doch bei der 1766 in Minden geborenen Caroline von Dacheröden um eine weibliche Ausnahmefigur auf dem Parkett bürgerlicher Salonkultur, in der zu jener Zeit noch maßgeblich die Männer den Takt vorgaben. Nach dem frühen Tod der Mutter zieht die Familie Dacheröden nach Erfurt, wo die junge Caroline unter der strengen Ägide der französischen Hauslehrerin Madame Dessault eine umfassende humanistische Bildung durchläuft. Schon im Mädchenalter verfasst sie literarische Rezensionen und Übersetzungen antiker Klassiker, erhält Sprachunterricht, zeichnet, musiziert und schreibt Gedichte; sie wird es sein, die ihrem späteren Mann das Schachspielen beibringt. Es wird rasch klar: Caroline von Humboldt war eine der ersten Frauen in Deutschland, die den Männern auf „deren“ Gebieten auf Augenhöhe begegnete.
Eine kurzweilige Love-Story im Zeitalter der Klassik
Dagmar von Gersdorff erzählt diese Biografie in einer Folge kurzer, manchmal fast elliptisch anmutender Szenen. Bemerkenswert ist, dass dem Buch trotz der lakonischen Darstellung nie der historische Sachgehalt abhanden kommt. Das manchmal allzu lange Verweilen der Biografin bei einer Szene rückt das Projekt zwar ans romanhafte, vermag dafür aber Zeit, Personen und Lebensumstände durch die Betonung einzelner Ereignisse zu illustrieren. Sehr zur Kurzweil tragen gerade Passagen bei, die derart amüsant sind, dass sie aus einem historischen Roman stammen könnten: Das Kennenlernen Caroline und Wilhelms bei der Besichtigung einer Dampfmaschine hätte sich kein psychoanalytisch versierter Dichter schöner ausmalen können!
Die Autorin erzählt auf diese Weise eine sich rasant entwickelnde Love-Story. Brennpunkt der Aufmerksamkeit soll dabei natürlich Caroline sein, ein Beispiel für die Teilhabe einer Frau an Männerdomänen zu einer Zeit, in der das Wort Emanzipation, in seiner vollen Bedeutung und im Dunstkreis der Französischen Revolution, gerade erst aufzuscheinen beginnt. Zwar wird immer wieder auf Carolines Kontakt zu den wichtigsten Männerfiguren der Zeit hingewiesen, ihre eigenen Interessen und Fähigkeiten werden ständig aufs Neue beschworen – jedoch ohne auf eine einzige ihrer Leistungen wirklich intensiv einzugehen.
Hier begegnet die große Diskrepanz des Buches. Dagmar von Gersdorff wird nicht müde zu betonen, dass ihre Patenfigur mit Schiller über Philosophie parliert, dass Goethe ihr das noch unveröffentlichte Manuskript seiner „Wahlverwandtschaften“ zuschickt. Caroline scheint sich im Umkreis dieser strahlenden Namen zu sonnen – als Mensch bleibt sie dabei seltsam im Schatten dieser Männer, nicht zuletzt dem ihres Gatten. Diese Tendenz zeichnet sich schon in der Konstruktion des Buches ab. Kennenlernen und Verlobung mit Wilhelm eröffnen und beschließen das erste Kapitel. Das zweite trägt gar den Titel Die Hochzeit. Über einer solchen Einteilung wird rasch klar: Caroline von Dacheröden scheint nur als Frau von Humboldt von Relevanz zu sein, das Interesse an ihrem Dasein erwächst in erster Linie aus dem sagenhaften Familiennamen. Die Biografie scheint sie deshalb möglichst schnell in die Position der Ehefrau bringen zu wollen, so denkt man beim Lesen und so verfährt das Buch.
Am augenfälligsten wird das Missverhältnis im Anspruch dieser Biografie – eine tatsächlich „frühemanzipierte“ Frau nur über ihr Verhältnis zu ihrem maskulinen Umfeld zu definieren – im dritten Kapitel. Die Weimarer Klassiker, Novalis und Hölderlin gehen bei Humboldts in Erfurt ein und aus – und in welcher Situation wird Caroline dabei geschildert? Stillend.
Unaufgelöste Diskrepanz zwischen Anspruch und Darstellung
Es liegt im Wesen der Gattung Biografie, eine Person greifbar zu machen, eben auch dadurch, dass man das Privateste dieser Person sichtbar macht. Nichtsdestotrotz ist das Interesse an ihr – zumindest meistens und bei legitimen Biografien – nicht wegen eines privaten Werdegangs, sondern aufgrund des öffentlichen Wirkens erwachsen. Genau deswegen gerät Dagmar von Gersdorffs biografisches Projekt ins Schlingern. Die tatsächliche, gesellschaftliche Wirkung geht eben von Wilhelm von Humboldt aus. Caroline verweilt hingegen als Kindermutter, jedenfalls auf den Seiten dieses Buches, meistens im engen privaten Feld der Familie. Weder wird ihre Wirkung innerhalb der Berliner Salonkultur um 1800 gebührend beleuchtet, noch ihr tieferer Einfluss auf die Schriften ihres Mannes aufgehellt (ein Einfluss, von dem wir wissen, dass es ihn gab). Mögen auch noch so häufig Carolines herausragende Intellektualität und Bildung hervorgehoben werden, die Biografin bleibt in ihren Ausführung hierzu denkbar allgemein. Dagmar von Gersdorffs Biografie – obgleich stilsicher und amüsant geschrieben – muss daher als verpasste Chance gelten, uns eine außergewöhnliche Frau in ihrem Einfluss auf die eigene Zeit darzustellen.
Dagmar von Gersdorff: Caroline von Humboldt. Eine Biographie. Berlin: Insel 2012, 298 Seiten, 10,99€, ISBN 978-3-458-35858-9 (geb. Ausgabe 2011, 22,90€, ISBN: 978-3-458-17502-5)
Zum Weiterlesen:
Über das Haus Dacheröden in Erfurt berichtet Steffen Raßloff: Gastliches Haus. Im Haus Dacheröden am Anger waren einst große Geister zu Gast und heiratete Wilhelm von Humboldt seine Frau Caroline von Dacheröden. In: Thüringer Allgemeine v. 01.12.2012. Nachlesbar auf erfurt-web.de.
Zum Autor: Florian Scherübl ist Bachelor of Arts in Philosophie und Germanistik und freier Mitarbeiter im Verlagswesen.