Thüringen, Deine Sprache. Thüringer Dialekte und Mundarten

Über den Dokumetarfilm von Gerald Backhaus und „Motzings Enkele“ aus Meiningen

ein Bericht von Dr. Christel Siegmund

Thüringenkarte mit symbolischen Wahrzeichen, Filmtitel und Angaben zu Beteiligten

G. Backhaus: Thüringen, Deine Sprache. Filmplakat 2019

„Thüringen, Deine Sprache. Thüringer Dialekte und Mundarten“: So heißt der Dokumetarfilm, mit dem gebürtige Gothaer und in Berlin wirkende Gerald Backhaus (Buch, Regie und Produktion), den Thüringer Dialekten ein Denkmal gesetzt hat.1 Und damit all jenen, die noch Dialekt sprechen, ihn pflegen und bewahren. Dieser Film wurde schon zweimal im Großen Saal der Meininger Casino-Lichtspiele sowie in anderen Städten, wie Ilmenau und Sonneberg, gezeigt. Meist waren Backhaus und im Film mitwirkende Mundartsprecher bei den Vorführungen dabei. Im Anschluss suchten sie mit den Zuschauern das Gespräch zum Thema, diskutierten über Ideen für die weitere Mundartpflege und ihre Zukunft.2

Zu einer solchen Veranstaltung war auch ich anwesend, denn ich gehöre zur Gruppe „Motzings Enkele“ von Meiningen. Die beschäftigt sich mit „sälwerscht gemachten“ Gedichten, Prosa und Lyrik zu Erinnerungen, Beobachtungen und aktuellen Themen – unter Führung von Rita Fulsche (Neubrunn) sowie fachlicher Anleitung von Dr. Andreas Seifert, dem Leiter des Literaturmuseums. Das ist nicht immer so leicht, denn die Mitglieder der Gruppe stammen bzw. stammten aus 8 lokalen Sprachorten, die alle ihre Besonderheiten aufweisen: aus Zella-Mehlis (Marlies Röder), Altersbach (Renate Schreyl), Herpf (Roswitha Kessler), Rentwertshausen (Anita Rußwurm), Breitungen (Renate Hossfeld), Wernshausen (Dr. Christel Siegmund) und neuerdings aus Helmershausen (Gisela Seemann) und Meiningen (Wolfgang Fischer).

„Spricht man so in Mundart?“ Über „Motzings Enkele“

2011 gründete sich die Gruppe mit dem gemeinsamen Ziel, Texte in Mundart auszuarbeiten, gegenseitig vorzutragen und zu verbessern und sich zum Weiterschreiben zu motivieren. Den Namen „Motzings Enkele“ gaben sie sich, weil sie sich als „Enkel“ von zwei altvorderen Mundartdichtern aus der Region betrachten: Paul Motz (1817 bis 1904) und Cacpar Ernst Stertzing (1817 bis 1884).

fünf Frauen sitzen an einem Tisch

Motzings Enkele

Nach 2 Jahren wuchs der Entschluss, die intensiv erarbeiteten Ergebnisse (aufgrund der unterschiedlichen Begriffe und Redewendungen in den einzelnen Orten) einem interessierten Publikum vorzustellen. Das Baumbachhaus mit Literaturmuseum in Meiningen bot dafür die  passenden Räumlichkeiten. Die Gruppe „Leimtiegel“ aus Neubrunn, die viele noch aus ihrer Kindheit oder Jugend kennen, mit 35 Jahren Erfahrung auf dem Gebiet der Volksmusik – war die beste musikalische Bereicherung, die man sich denken konnte. Zweimal im Frühjahr, festgeschrieben im Programm der Meininger Museen, begeistert vom Publikum aufgenommen – reichte der begrenzte Platz im Baumbachhaus bald nicht mehr aus, sodass seit 2019 die Autorenlesung in das Theatermuseum nebenan verlegt werden musste und jetzt Motzings Enkele hautnah musikalisch unterstützt werden von den vier „Thüringer Spielleut“, d.h.: Andreas Schlütter (Dudelsack, Schalmei, Maultrommel, Harmonika), Anja Schlütter (Dudelsack, Schalmei, Maultrommel, Harmonika, Holzlöffel, Gitarre), Britta Schlütter (Dudelsack, Schalmei, Thüringer Waldzither, Kontrabass) sowie Steffen Schmied (Trommeln, Klangobjekte). Sie merken schon, für so viele traditionelle Instrumente hätte der Raum im Baumbachhaus nicht ausgereicht, aber die Bühne von der „Zauberwelt der Kulisse“ kann das verkraften. Zumal die Publikumsresonanz sehr groß ist und wir auf die nächsten Veranstaltungen am 10. sowie 24. März 2020 sehr gut vorbereitet und schon äußerst gespannt sind. Unser Moderator Dr. Andreas Seifert findet sicher wieder die notwendigen erklärenden Worte zum umfangreichen Programm mit 30 Einzelbeiträgen, das nicht nur gereimte oder ungereimte Erinnerungen an Alltägliches in der Familie und im Dorf widerspiegelt, z.B.: „Vo süste“, „Vo´s Glöck“ oder eben „Zommegekoahrt“, sondern auch aktuelle politische Probleme, z.B. zu 30 Jahren Wiedervereinigung. Besonderer Schwerpunkt in diesem Jahr sind Fabeln, alte klassische von Äsop und Lessing sowie moderne. Wir sind gespannt, wie sie angenommen werden!3

filmisches Zeugnis über die Thüringer Mundarten

Neun Unterformen des Thüringer Dialektes und ihre sympathischen Vertreter hat Gerald Backhaus im Film zu Wort kommen lassen, zum Teil in den verschiedenen Varianten des jeweiligen Dorfes, geschuldet der Thüringer Geschichte, der Kleinstaaterei sowie den Herrschaftsverhältnissen. Besonders auffällig ist die Sprachgrenze zwischen Rennsteig und fränkischem Sprachraum. Zahlreiche Mitwirkende legen Zeugnis ab, über die gesprochene Mundart in ihrer Region, ihre Verbundenheit, man könnte sogar sagen „Liebesbeziehung“ zu „ihrem“ Dialekt, zum damit verbundenen Heimat- und Wohlgefühl, zum vertrauten Klang und der zum Teil derben, aber ehrlichen, auf den Punkt zutreffenden Ausdrucksweise.

In den Orten und Vereinen, wo es eine enge mundartliche Verbindung zwischen Großeltern, Eltern und Kindern gibt, braucht uns um die Zukunft dieser – eigentlich unter Denkmalschutz stehenden – Sprache nicht bange zu sein. Aber ohne diese enge Sprachgemeinschaft in Familie und Verein lässt sie sich nicht mehr lange erhalten, obwohl es zur Zeit erstaunlich viele Aktivisten gibt, die darum ringen. Möge das an ihrem Alter liegen? Das beweisen die zahlreichen Beiträge im Film „Thüringen, Deine Sprache“ aus Berlin, Saalfeld, Könitz, Pößneck, Haßleben, Erfurt, Ringleben, Leina, Mühlhausen, Langula, Steinbach, Neuendorf, Ruhla, Kleinschwabhausen, Münchenroda, Altenburg, Meiningen, Rauenstein (in der Reihenfolge des Auftretens). Auffällig ist, dass dort die Mundart vereinsmäßig intensiv betrieben wird, wo auch noch die Trachten zum traditionellen Kulturgut gehören und wirklich getragen werden.

„Hautnah“dran am Dialekt – live und im Film

Die Arbeitsgruppe „Hautnah“ aus dem hennebergisch-fränkischen Sprachraum hat sich schon über Meiningen hinaus einen Namen gemacht, sei es einzeln oder vereint, auf Heimatfesten und Mundarttagen, in Kirchen oder bei Demos gegen rechts, diesseits und jenseits der thüringisch-bayrischen Grenze, bei der Mundart-Ralley oder dem „Tag des Brauchtums“ in Kaltenwestheim, um nur einige Auftritte zu nennen. Ich berichte jedes Jahr zweimal anlässlich des Kreisheimattages detailliert über die zahlreichen Aktivitäten. Das ist eine Besonderheit in unserem Kreis Schmalkalden/Meiningen, dass es eine Arbeitsgruppe Mundart gibt, die alle Kreisheimatpfleger über die Bemühungen der Vereine und Einzelpersonen informiert, sie dementsprechend auf Kreisebene würdigt und die Zusammenarbeit zwischen den Gruppen fördert.

Die Arbeitsgruppe „Hautnah“ hat auch im Film von Gerald Backhaus mitgewirkt und somit dazu beigetragen, auch in Zeiten der Zusammenlegungen und Fusionen das Heimatgefühl, die Identität zur Sprach- und Lebensweise der einfachen Leute (nicht der „Vürnehmen“) im vergangenen Jahrhundert zu bewahren und zu fördern. Da die Mundart generell nicht mehr verpönt, in Misskredit gebracht oder in der Schule untersagt ist, können wir darauf hoffen, dass sie noch eine Weile geschätzt wird, auch von Jungen, die unter Anleitung passionierter Mundart- und Kinderliebhaber gemeinsame, öffentlich sehr geschätzte Auftritte vorbereiten und aufführen. Davon zeugen vorbildliche Aktivitäten mit größeren Kindergruppen in der Rhön (Kaltenwestheim u.a.) und im Werratal (Breitungen).4

Am Ende des Films stand der Satz: „Binde dir mal ein Kopftuch um, damit du dich nicht erkältest bei dem schlechten Wetter!“ Ich bin gespannt, ob die unterschiedlichen mundartlichen Aspekte den im Film zugrunde gelegten Sprachatlas (z.B. mit Ilmthüringisch, Ostthüringisch, Itzgründisch, Ostfälisch, Hennbergisch u.a.) bestätigen oder Herrn Gerald Backhaus verleiten, ihn umzugestalten.

Zum Weiterlesen: Gesprochene Sprache aufgeschrieben

Der Dialekt kann nur weiterleben, wenn man ihn spricht – und auch denkt. Aber auch das Aufschreiben und Speichern der fast vergessenen „echten“ Mundartwörter und Redewendungen ist wichtig. Diesem Anliegen widmet sich auch das neue Buch von Dr. Christel Siegmund: „Mundart. Regeln – Wortschatz – Sprüche – Redewendungen, angewendet auf den Wernshäuser Dialekt“, das demnächst im Handel sein wird und zahlreiche Nutzungsmöglichkeiten für engagierte „Mundartbewahrer“ aufweist.5

Literaturhinweise:

1 Gerald Backhaus: Thüringen, Deine Sprache – Thüringer Dialekte und Mundarten. DVD, Deutschland 2019. Siehe auch: https://www.gerald-backhaus.de/portfolio/thueringen-deine-sprache/.

2 Siehe auch: Kanzler, Antje: Der Sound der Heimat. In: Meininger Tageblatt vom 16. Juli 2019, S. 9.

3 Meininger Museen. Programmheft 2020, S. 27, 30.

4 Siegmund, Christel: Mundart mit Kindern. Aktivitäten, Erfahrungen, Ergebnisse, Hinweise, Probleme. Schmalkalden: Bauer & Malsch 2017. ISBN 978-3-00-055581-7.

5 Siegmund, Christel: Mundart. Regeln – Wortschatz – Sprüche – Bilder, angewendet auf den Wernshäuser Dialekt. Thuringi Verlag März 2020.

Zur Autorin: Dr. habil. Christel Siegmund (geboren 1941 in Wernshausen) ist Mitglied der Gesellschaft Kulturerbe Thüringen e.V. Sie studierte Landwirtschaft und Pädagogik in Leipzig und befasst sich seit 2000 intensiv mit der (Wernshäuser) Mundart.

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