Dr. Christel Siegmund stellt ihre Neuerscheinung vor
Die Notwendigkeit, unsere Kinder an die Mundart heranzuführen, ihr Interesse und ihr Verständnis für dieses lebendige sprachliche Denkmal zu wecken, ergibt sich aus der Dringlichkeit zum Erhalt dieser traditions- und geschichtsträchtigen, eng mit der regionalen Heimatkunde und dem Brauchtum verbundenen sowie aus dem erforderlichen Zusammenwirken der Generationen. Sie ist ein Zukunftsgarant, für das Weiterbestehen der Mundart „lebensnotwendig“.
Als Ziel sollte angestrebt werden, dass die Kinder wenigstens die Mundart verstehen (nicht unbedingt perfekt sprechen) können und in Verbindung damit nicht nur die Sprache, sondern vor allem die Lebensweise und -gewohnheiten, Geräte, Arbeitsverfahren und -techniken der früheren Generation mit anderen Methoden kennenlernen als im traditionellen Geschichtsunterricht. Ferner ist es ein Teil der kulturellen Bildung.
Dazu können und müssen viele Institutionen ihren spezifischen Beitrag leisten: Familie, Verwandte und Bekannte, der Kindergarten, die allgemeinbildende Schule, das Gymnasium, die Universität, Vereine und Museen. Das Beste ist natürlich eine enge Partnerschaft zwischen Großeltern – Eltern – Kindern, um den Dialekt alltäglich zu hören und zu sprechen, sozusagen wie eine zweite Sprache – aber eigentlich unsere ursprüngliche Mutter- und Heimatsprache.
Vorbemerkungen
Erstens:
Das Buch stellt eine Würdigung der (mir bekannten) Frauen dar, die sich im Kreis Schmalkalden-Meinungen schon mehrere Jahre damit beschäftigten, mit Kindergruppen Mundart zu betreiben – zum Verstehen, Sprechen, Unterhalten, Singen und Spielen.
Zweitens:
Die Ausführungen widerspiegeln eine große Vielzahl an Beschäftigungsmöglichkeiten und Beispielen, die in Abhängigkeit von der Anzahl und dem Alter der Kinder, ihrer Verbindung zur Mundart, der zur Verfügung stehenden Zeit, den Anforderungen an die Gruppen hinsichtlich Programmen und Auftritten, den mundartlichen Besonderheiten einzelner Orte angewendet werden können.
Drittens:
Die Ausarbeitungen sind nicht als Vorschriften zu verstehen, sondern als pädagogisch-methodisch orientierte Anleitung und Hilfe zum Handeln, zum Ausprobieren, Nachmachen, Ergänzen und Neuentwickeln, als Impuls- und Ideenratgeber für ein abwechslungsreiches, kindgerechtes Gestalten der aufwändigen und schwierigen mundartlichen Beschäftigung von Kindern. Die vielen Anregungen sollten von den Betreuern auf Anwend- und Übertragbarkeit – in Abhängigkeit von den jeweiligen Bedingungen (Anzahl, Alter, Vorkenntnissen, Leistungen, Zeit usw.) – geprüft werden.
Viertens:
Die Mundarttexte und Beispiele wurden im jeweiligen ortstypischen Dialekt aufgeschrieben, können aber ohne große Probleme in die entsprechende regionale Aussprache und Schriftform umformuliert und eingesetzt werden und sollen die Vorbereitungsarbeit der Betreuer erleichtern.
Fünftens:
Aus methodischer Sicht sollten von den Betreuern sehr viele und unterschiedliche Aktivierungsmöglichkeiten für die mundartliche Beschäftigungen geschaffen und genutzt werden. Im Buch werden im Einzelnen erläutert:
- darbietende Methoden, wie: Vorsprechen, Vortragen, Vorlesen, Vorzeigen (heute nicht mehr benutzter Gegenstände), Vormachen (früherer Tätigkeiten), Vorsingen, Vorspielen,
- gemeinsam erarbeitende Methoden, auch in Partner- oder Gruppenarbeit, wie: Bekanntmachen, Gespräche, Fragen und Antworten, Vorschläge, Diskutieren und Bewerten, Sammeln von Wörtern, Erarbeiten von Programmen, Singen, Spielen, Tanzen.
Am anspruchvollsten sind natürlich Aktivitäten der Kinder in Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit in Verbindung mit
- aufgebenden Methoden, wie Sammeln von Wörtern, Sprüchen, Gegenständen; Erarbeiten von thematischen Wortlisten, Mundarttexten; Anfertigen und Beschriften von Bildern, Plakaten, Boxen; Rätseln, Aufführen von Mundartprogrammen mit Sprüchen, Geschichten und Liedern; Besichtigen und Erkunden von Sammlungen, Museen und Heimatstuben; Herstellen von Fotos und Filmen; Ausarbeiten von Belegen, Projektarbeit u.a.
Das Buch beinhaltet:
1. Teil: Aktivitäten, Erfahrungen, Ergebnisse, Hinweise und Probleme zur Mundartarbeit mit Kindern in Brotterode, Wasungen/Oepfershausen, Breitungen, Neubrunn, Kaltenwestheim, Einhausen und Walldorf
2. Teil: Methodische Möglichkeiten der Mundartarbeit mit Kindern sowie praktisches Herangehen und Erfahrungen aus Wernshausen
3. Teil: Anlagen: ausgewählte Mundartwörter, Arbeits-/Informationsblätter, Spottnamen, Geschichten, Kinderreime/Sprüche, Redewendungen, Liederbuch, Witze, Spiele.
Teil 1:
Frau Sybille Hahn engagiert sich stark bei der Mundartarbeit von Grundschülern mit Unterstützung vom Heimatverein und weiteren Spezialisten aus Walldorf und anderen Orten, aus denen die Schüler kommen, z.B. Dorfrundgang, Veranstaltungen zum Advent, in der Heimatstube, Projektlesewoche. Dabei wird der Wortumwandlung und -aussprache bei der Mundart in den einzelnen Dörfern entsprechende Aufmerksamkeit gewidmet.
Seit etwa 10 Jahren engagiert sich Frau Katrin Ritzmann aus Einhausen für Mundart mit Kindern. Sie hat viel Erfolg mit kleinen Theaterstücken zu Dorffesten; Fasching, Jubiläen der Vereine u.a., die auf die örtlichen Gegebenheiten Bezug nehmen und die sie je nach Anforderung selbst ausarbeitet und ausgestaltet, einübt und erfolgreich vorführt.
In Brotterode führt Frau Almut Rohmeiß die jahrelange bewährte Mundartarbeit von Ellen Kummer, die 2015 gestorben ist, weiter: Wöchentlich werden in der Grundschule Übungen mit Sprüchen, Redewendungen, Anekdoten, kurzen Geschichten u.a. durchgeführt; jedes Kind erhält den betreffenden Wortlaut, um zuhause in der Familie das mundartliche Vortragen zu trainieren. In der Arbeitsgemeinschaft sagen die Kinder ihre Texte auf; Frau Rohmeiß nimmt sie auf Tonband auf und korrigiert sofort. Ein beneidenswerter Vorteil kommt in Brotterode voll zur Wirkung: Die Mundartarbeit mit den Kindern wird in hohem Maße vom Trachten- und Heimatverein unterstützt.
Das Stadtmuseum Wasungen hat 2014 unter Leitung von Frau Claudia Franz im Zusammenwirken mit anderen Kooperationspartnern ein zentral gefördertes Projekt „MuseobilBOX“ durchgeführt, bei dem sich etwa 10 Kinder in dem Kurs “Mie hons en Bluet“ neun Tage lang intensiv mit Mundart beschäftigten, einen Film „Das Wasunger MundART-Magazin“ drehten sowie kreativ ideenreiche Boxen mit Mundarttexten anfertigten. Die Prä-sentation von Film und Boxen vor rund 70 Besuchern im Stadtmuseum war ein voller Erfolg.
Auch in Breitungen fand im Sommer 2015 ein Mundartkurs „Boas ies dann doas für änner“ statt: unter Federführung des Aktivmuseums, an der Spitze Frau Cornelia Reum. Nach einer vorwiegend theoretisch orientierten Einführung zu Sprachräumen in Thüringen durch Herrn Jörg Wagner (von der Mobilen Museumspädagogik der LAG Jugendkunstschulen Thüringen – ebenso in Wasungen intensiv mitwirkend) wurden für die Kinder interessante Gegenstände aus dem Aktivmuseum ausgewählt, mit mundartlichen Begriffen dokumentiert und ihr früherer Gebrauch erläutert. Danach fertigten die Kinder ideenreiche Plakate mit Mundartsprüchen und dazu passenden Bildern an, die später an markanten Plätzen im Dorf ausgehängt wurden.
Frau Regina Rauch und Ines Richter berichten über die Projektarbeit am Rhöngymnasium Kaltensundheim mit 22 Schülern der Klassen 7 und 8 (Erlernen von Wörtern, Alltagsgeschehen, Sprüchen/Witzen, Ortsgeschichte, Geburtstag, Sport und Spiele u.a.)
Frau Rita Fulsche aus Neubrunn stellt ihre Erfahrungen dar im Hinblick auf:
Mundartarbeit mit Kindern in der Bücherei; Projektunterricht an der Gemeinschaftsschule in Bibra (6 Doppelstunden mit Kindern der Klassen 5 und 6) und anschließender Präsentation der Ergebnisse (insbes. Vorlesen von Sagen sowie übersetzter Schulordnung) zum „Tag der offenen Tür“; Betreuung einer Jahresarbeit zum Thema: „Stirbt die Mundart aus?“.
Frau Brita Wolfram aus Kaltenwestheim betreut wöchentlich eine große Gruppe an jüngeren Kindern mit abwechslungsreichen Beschäftigungen und gestaltet mit ihnen Programme, z.B. zum Landestrachtenfest in Kaltenlengsfeld, zur Einweihung der „Arche Rhön“ sowie des Wasserweges, zur Ostereierausstellung, zu Weihnachtsfeiern oder Textaufzeichnungen in der „Arche Rhön“, gibt aber auch kindgerechte theoretische Erläuterungen zur Bedeutung und zu den sprachlichen Besonderheiten der Mundart in der Rhön.
Teil 2:
Frau Dr. Christel Siegmund aus Wernshausen berichtet über ihre Erfahrungen im Kindergarten sowie in der Grundschule im Rahmen von Heimatkunde, besonders jedoch über ihr Wirken in der Arbeitsgemeinschaft „Mundart“. Dabei hat sie eine große Palette von Methoden zu Mundartübungen mit den Kindern ausprobiert und so aufbereitet, dass sie von den Betreuern anderer Gruppen problemlos übernommen werden können, wenn sie in den ortsüblichen Dialekt übertragen worden sind.
Die Hinweise umfassen nicht nur die wichtigsten Mundartwörter, sondern ihre Anwendung in Spottnamen, Sprüchen, Reimen, Redewendungen, Anekdoten und Witzen, Geschichten, Märchen und Sagen. Besonders hervorzuheben ist der Einsatz von Liedern (vgl. Liederbuch in Mundart).
Ferner gibt sie Hinweise zum Herstellen und Beschriften von Boxen, Bastelbögen sowie Spielkarten oder Rätseln in Mundart.
Um die Ergebnisse der Mundartarbeit öffentlich zu zeigen, können Anschauungstafeln, Plakate, Kalender o.a. zum Aushängen angefertigt werden.
Äußerst wichtig ist der Einsatz bzw. das Kennenlernen von Originalgegenständen – aus privaten Sammlungen (auf Böden oder in Scheunen), Heimatstuben, Ausstellungen sowie Museen. Den Kindern muss meistens deren Verwendung und Gebrauch erläutert oder vorgemacht werden, da sie das nicht mehr kennen.
Teil 3:
Die Anlagen enthalten zahlreiche Beispiele aus vielen Bereichen der Mundartarbeit mit Kindern, die den Betreuern bei der aufwändigen Vorbereitungsarbeit helfen sollen. Sie sind als (Kopier-)Vorlagen, Wörtersammlungen, Impuls- und Ideengeber zu verstehen, die natürlich auf Übertragbarkeit zu prüfen sind und in den ortstypischen Dialekt „übersetzt“ werden müssen.
Besonders hervorzuheben sind die ausgewählten Mundartwörter (Anl. M), Verse und Sprüche (Anl. V), mundartliche Redewendungen für den täglichen Gebrauch oder zum Beschreiben von Personen und Vergleiche (Anl. R) sowie bekannte Kinderlieder in Mundart (Anl. L).
Schlussbemerkungen
Die Wirksamkeit der Mundartarbeit mit Kindern in Schulen, Arbeitsgemeinschaften und Vereinen hängt in erster Linie davon ab, inwieweit engagierte und kinderliebe Personen, die selbst die Mundart beherrschen, dieses Anliegen zielstrebig, ideenreich und ohne Rücksicht auf Misserfolge und Rückschläge verfolgen. Um diese ehrenwerte und für die Traditions- und Brauchtumspflege notwendige Arbeit zu würdigen sowie sie dabei so weit wie möglich zu unterstützen, ist das Anliegen des vorliegenden Buches.
Literatur:
Autorenkollektiv unter Leitung von Dr. Christel Siegmund: „Wernshäuser Mundart. Regeln – Wortschatz – Sprüche – Bilder“ (260 S.) Druckerei Walch Wasungen, 2008
Hrsg.: Christel Siegmund: „Blätter zur Wernshäuser Mundart“ bzw. „Wernshäuser Heimatblätter“ (Hefte 1 bis 22); Druckerei Perfekt-Druck Frankfurt/M, 2004 bis 2016
Dr. Christel Siegmund: „Liederbuch für Kinder in Wernshäuser Mundart“, Eigenherstellung 2015
Zahlreiche Bücher mit Kinderliedern, -reimen und -versen, wie:
„Die schönsten Kinderreime“, Hrsg.: Inge Bogner; ISBN 3-88199-529-3; Hersching 1989
„Kinderreime und Verse“; EDITION XXL; ISBN: (13) 978-3-89736-508-7; Crumbach 2008
Die Neuerscheinung: 186 S., Bauer & Malsch Druck und Werbung GmbH Schmalkalden, Februar 2017 ISBN 978 3 00 055581-7, Preis 13,- € (gedankt wird dem Landkreis Schmalkalden-Meiningen für Unterstützung)
Zur Autorin: Dr. habil. Christel Siegmund (geboren 1941 in Wernshausen), ist Mitglied der Gesellschaft Kulturerbe Thüringen e.V. Sie studierte Landwirtschaft und Pädagogik in Leipzig und befasst sich seit 2000 intensiv mit der (Wernshäuser) Mundart.