Jüdisches Leben in Thüringen entdecken

Eine Zeitreise zu Jenaer Juden in 148 Biogrammen
978-3-942176-30-9

Der Einband des am 27. Januar 2015 erschienenen Buches.

von Friederike Günther

Nicht weit von Jena entfernt liegt mit der Alten Synagoge in Erfurt ein Beweis für das blühende jüdische Leben in Thüringen. Zwischen beiden Orten mahnt jedoch auch die Gedenkstätte Buchenwald an dessen schreckliches Ende. Der Jenaer Arbeitskreis Judentum hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Erinnerung an das jüdische Leben in der Stadt wachzuhalten. Mit dem Buch Juden in Jena schuf er 1998 ein erstes Werk über das Judentum in Jena vom Mittelalter bis zum Holocaust. Nun, 17 Jahre später, geben der Verein für Jenaer Stadtgeschichte e.V. und das Stadtmuseum Jena in Zusammenarbeit mit dem Jenaer Arbeitskreis Judentum das Buch Jüdische Lebenswege in Jena – Erinnerungen, Fragmente, Spuren und damit eine Überarbeitung und Erweiterung der damaligen Erkenntnisse heraus.

25 Autoren zeichnen das Leben Jenaer Juden nach. „Entstanden sind biografische Miniaturen, die das einmalige, aber auch das alltägliche Leben jedes Einzelnen beschreiben, die zugleich auf Stigmatisierungen und Verletzungen hinweisen, um schließlich die erzwungene Emigration oder den Weg in die Todeslager zu verfolgen.“

Der Leser begegnet zunächst dem Physiker Felix Auerbach und seiner Frau Anne, die das kulturelle Leben in Jena und den Kreis um Ernst Abbe prägten, an der Gründung des Jenaer Kunstvereins beteiligt waren und sich für die Errichtung eines Ernst-Abbe-Denkmals aussprachen. Zu ihrem Umfeld gehörte auch Siegfried Czapski, dessen Name noch heute am Jenaer Volkshaus zu lesen ist und über den vielleicht Fritz Haber an die Jenaer Universität kam. Prägend für das Kulturleben der Stadt war auch Johanna Hofmann-Stirnemann, die im Stadtmuseum als erste weibliche Museumsleiterin Deutschlands tätig war.

Neben Persönlichkeiten wie ihr, die eng in das Jenaer Leben eingebunden waren, widmet sich das Buch jedoch auch Menschen, in deren Lebensweg die Stadt nur eine kleine Station bildete, wie etwa Jakob van Hoddis, der lediglich ein Semester an der Friedrich-Schiller-Universität studierte. Damit sollen nur wenige der 148 Biogramme, die sich teils auch mit ganzen Familien befassen und alphabetisch bis zu Therese Zuckerkandl fortschreiten, genannt sein. Es gelingt den Autoren trotz der Fülle von Lebenswegen, die besonderen Schicksale und persönlichen Leistungen zu würdigen. Fotos aus dem Leben der Beschriebenen, die beinahe jedes Biogramm illustrieren, verleihen den Berichten dabei eine besondere Lebendigkeit, ebenso wie die Angabe der Wohnorte in Jena und die Wiedergabe persönlicher Erinnerungen, wie etwa eines Briefes, der den Aufenthalt Lisa Eppensteins im Ghetto Bełżyce beschreibt.

Umrahmt sind die Biogramme von allgemeineren Informationen über das jüdische Leben in Jena. Das Buch beginnt mit einem Kapitel von Reinhard Jonscher und Eberhart Schulz über „Juden und jüdisches Leben in Jena vom Mittelalter bis zur Gegenwart“, an dessen Beginn uns die Alte Synagoge wiederbegegnet, die die „Erste[n] sichere[n] Spuren jüdischen Lebens in Thüringen“ liefert. Am Ende folgen Erklärungen zu Begriffen und Stationen, die sich in vielen der Lebensläufe wiederfinden. Erläutert werden zum Beispiel das Jenaer Waggonlager in der Löbstedter Straße, das Ghetto Bełżyce und die Organisation Todt. Sieben Übersichten und ein Glossar ergänzen die Informationen.

Somit erreicht das Buch die stolze Länge von 600 Seiten, auf denen dargestellt wird, wie sehr die vorgestellten Personen das Leben in Jena prägten. Es fasst die Geschichte des Judentums in Jena zusammen und liefert Hintergrundinformationen insbesondere zur Verfolgung im Nationalsozialismus. Einzig den Anspruch, das jüdische Leben vom Mittelalter bis zum Holocaust umfassend kennenzulernen, darf der Leser nicht an das Werk stellen, entstammen doch die meisten Biografien dem Anfang des 20. Jahrhunderts. Lässt er sich jedoch auf die Geschichten ein, hat er die Chance, Bekanntschaft mit faszinierenden Persönlichkeiten und ihrem Leben zu machen und dabei das Thüringen des 19. und 20. Jahrhunderts von einer neuen Seite kennenzulernen.

Stadtarchiv Jena (Hrsg.): Jüdische Lebenswege in Jena. Erinnerungen, Fragmente, Spuren (Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte – Band 18). Erschienen beim Stadtmuseum Jena 2015. ISBN: 978-3-942176-30-9, 27,80 €.

Zur Autorin: Friederike Günther studiert Buchwissenschaft und Germanistik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Werbung

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: