Die Einheit der Schrift begann in Schleiz

Das Rutheneum als Geburtsstätte des DUDEN

von Juergen K. Klimpke

Konrad Duden zu seiner Schleizer Zeit (Zeichnung: Arthur Viertel)

Konrad Duden zu seiner Schleizer Zeit (Zeichnung: Arthur Viertel)

„Auf dem Gebiete der deutschen Rechtschreibung herrscht augenblicklich ein unerquicklicher und namentlich für die zum Lehren Berufenen unbefriedigender Übergangszustand. Seitdem man vom Baume der Erkenntnis gegessen hat und auf die Mängel der überlieferten Rechtschreibung aufmerksam geworden ist, hat die harmlose Unbefangenheit im Gebrauch des Alten aufgehört, und doch gibt es noch kein Neues, das sich an dessen Stelle hätte setzen können.“

Mit diesen Worten beginnt Konrad Dudens Vorwort zu seinem 1872 veröffentlichten Werk Die deutsche Rechtschreibung. Er beschreibt damit einen Zustand, den er auch am Schleizer Gymnasium vorfand. Am Rutheneum hatte jeder Lehrer seine eigene Orthographie. Das bedeutete vom Standpunkt der Schüler aus: Was bei einem Lehrer richtig war, galt beim zweiten als Fehler.

1871-Jahresbericht Gymnasium Rutheneum

Titelblatt des Jahresberichtes des Gymnasiums „Rutheneum“ aus dem Jahr 1871

So machte sich Duden daran, für das Schleizer Rutheneum eine eigene Schulorthographie zu erstellen. Die Regeln wurden im Kreis der Schleizer Kollegen diskutiert und beraten. Schließlich erschien im Jahresbericht des Gymnasiums 1870/71 die von Konrad Duden verfasste Abhandlung Zur deutschen Rechtschreibung. Sie beinhaltete ein Regelwerk und war zunächst nur für die eigene Schule gedacht.

Obwohl der Jahresbericht nur in einer geringen Auflage gedruckt wurde, erregte er doch in Fachkreisen eine gewisse Aufmerksamkeit:

„Diese mit kurzen Erläuterungen versehenen Regeln, abgedruckt im Programm des Schleizer Gymnasiums 1871, erfreuten sich der Zustimmung hervorragender Männer der Wissenschaft und Schule.“ (Schleizer Duden, 1872, S. IV).

Derart bestärkt und von der Gründung des Deutschen Reiches beflügelt, machte sich Duden daran, das Regelwerk in Buchform zu veröffentlichen:

„Möge diesem Werkchen dessen Plan in den Tagen gefaßt wurde, als in der französischen Königsstadt die deutsche Kaiserwürde und mit ihr die politische Einheit Deutschlands geboren ward, vergönnt sein, zu seinem bescheidenen Teile an der Herstellung der Einheit auf dem vergleichsweise unwichtigen, aber keineswegs gleichgiltigen Gebiete der Rechtschreibung mitzuwirken.“ (Schleizer Duden 1872, S. VII).

Um es praktischer zu machen, fügte er diesem ein zirka 6.000 Stichworte umfassendes Wörterverzeichnis bei. Hierin waren zumeist Wörter zu finden, welche erfahrungsgemäß oft falsch geschrieben wurden.

Bei der Arbeit an diesem Buch ließ sich Duden von der Praxis leiten. Die Schrift sollte sich – wenn sie allgemeinverständlich sein sollte – am gesprochenen Wort orientieren. Es sollte dem Lesenden möglich sein, sofort zu erkennen, wie das betreffende Wort ausgesprochen wird. So schrieb man damals zum Beispiel „Circus“. Beim Lesen stellt sich nun dem Unkundigen die Frage: Wird das Wort nun Zirzus, Kirkus, Kirzus oder Zirkus gesprochen? Derartige Verwechslungsmöglichkeiten gab es im 19. Jahrhundert viele. Zudem galten in den einzelnen deutschen Ländern für das gleiche gesprochene Wort verschiedene Schreibweisen. So schrieb man zum Beispiel in Preußen Komitee, in Bayern Comité und in Württemberg Komité.

1872 - Die deutsche Rechtschreibung - Titel

Titelblatt von Dudens erstem Rechtschreibebuch „Die deutsche Rechtsschreibung“ („Schleizer Duden“) von 1872

Mit dem 1872 herausgegebenen Buch Die deutsche Rechtschreibung, welches heute als Schleizer Duden bekannt ist, verfolgte Konrad Duden also zwei Ziele: die Schaffung einer reichsweiten einheitlichen Orthographie und die Vereinfachung der vielen komplizierten und unzweckmäßigen Schreibungen von Lauten, Lautverbindungen und Wörtern.

Dem Hauptwerk war eine weitere Abhandlung unter dem Titel Anleitung zur Rechtschreibung beigegeben. Wandte sich Duden mit ersterem an die oberen Klassen höherer Lehranstalten, war letzteres für die unteren Klassen und die Volksschulen gedacht. Es enthielt ebenfalls ein Wörterverzeichnis, welches aber nicht die Ausführlichkeit des ersteren erreichte.

Bemerkenswert ist, dass Konrad Duden das Wörterverzeichnis für die oberen Klassen der höheren Lehranstalten in einer Form verfasste, wie wir es aus spätern DUDEN-Ausgaben kennen. Die Stichworte wurden mit etymologischen und anderen Erklärungen versehen. Das Wörterverzeichnis für die unteren Klassen enthielt größtenteils nur die Stichwörter und gelegentlich Empfehlungen für eine bessere Schreibweise. Es entsprach in der Form jenem Wörterverzeichnis, welches in den ersten beiden offiziellen DUDEN-Ausgaben von 1880 und 1884 veröffentlicht wurde. Erst mit der dritten Auflage des V“ von 1887 fanden sich die etymologischen Angaben im Wörterverzeichnis wieder.

1872 - Die deutsche Rechtschreibung - Wörterverzeichnis - Obere Klassen

Auszug aus dem Wörterverzeichnis des „Schleizer Dudens“
für die oberen Klassen der höheren Lehranstalten.

1872 - Die deutsche Rechtschreibung - Wörterverzeichnis - Untere Klassen

Auszug aus dem Wörterverzeichnis des „Schleizer Dudens“
für die unteren Klassen der höheren Lehranstalten.

Duden wollte eine einheitliche Schreibweise, die allen Bildungsschichten dienlich sein sollte. So bemerkte er im Vorwort des Schleizer Dudens:

„Die Schrift aber ist für jedermann; sie darf daher nicht durch Rücksichten erschwert werden, welche außerhalb ihres Zweckes liegen und nur einer vergleichsweise kleinen Zahl derer, die sich ihrer bedienen, zu gute kommen.“ (Schleizer Duden 1872, S. VII).

1872 forderten ebenfalls Vertreter des höheren Schulwesens aller deutschen Länder auf einer in Dresden abgehaltenen Konferenz eine einheitliche deutsche Rechtschreibung (vgl. den Literaturhinweis auf Wolfgang Ulrich Wurzel, S. 65). Daraufhin beauftragte die preußische Unterrichtsverwaltung Rudolf von Raumer mit einem entsprechenden Entwurf.

Durch seine Publikationen erlangte Dr. Konrad Duden einen überaus guten Ruf in der Fachwelt und gehörte zu jenen Auserwählten, die sich im Januar 1876 zur 1. Orthographischen Konferenz in Berlin trafen. Aufgrund der Teilnahme Dr. Dudens konnte sich auch das Fürstentum Reuß j.L. neben Bayern, Preußen, Württemberg und Baden zu jenen Ländern zählen, die aktiv an einer Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung arbeiteten. Duden sprach sich auf dieser Konferenz für den von Rudolf von Raumer erarbeiteten Entwurf einer einheitlichen Orthographie aus. Sie kam seinen eigenen Vorstellungen ziemlich nahe. Jedoch riefen die von der Konferenz per Beschluss gemachten Veränderungen ein geteiltes Echo hervor, was letztendlich die preußische Schulverwaltung auf Betreiben Bismarcks zum Anlass nahm, per Verordnung die vorgeschlagenen Änderungen in die sprichwörtliche Schublade zu verweisen.

Bei seinen Bemühungen um eine einheitliche deutsche Rechtschreibung sah sich Dr. Konrad Duden nicht nur strikten Gegnern gegenüber, sondern auch solchen, die dasselbe Ziel verfolgten, jedoch in anderer Form. Zu jenen gehörten zahlreiche Gelehrte, wie Philipp Wackernagel und Karl Weigand. Sie wollten ebenso wie Duden eine einheitliche Rechtschreibung, jedoch sollte diese auf der Basis des Mittelhochdeutschen geschaffen werden. Konrad Duden bezeichnete diese historische Schreibung bereits 1872 als „ein entschiedenes Übel“ und verglich sie mit der französischen und englischen Schreibung. Weiter führte er aus:

„Daher glauben wir, daß dem Eindringen des ersten Falls englischer Orthographie nicht eifrig genug entgegengetreten werden kann, und als das beste Mittel dazu erscheint und der Hinweis auf die hundert Fälle, welche die Vertreter des historischen Prinzips und Verehrer der englischen Orthographie, gern bei uns heimisch sähen.“ (Schleizer Duden, 1872, S. 32)

Konrad Duden erkannte die Gefahr einer solchen historischen Orthographie, die das deutsche Volk in der Schrift nicht vereinen, sondern in Gelehrte und Ungelehrte spalten würde.

Dr. Konrad Duden erkannte bereits 1872 einen weiteren Missstand der deutschen Rechtschreibung, der allerdings bis heute nicht beseitigt wurde: Die Großschreibung der Substantive. In seinem 1872 veröffentlichten Regelwerk ging er unter § 59 darauf ein und bemerkte:

„Wenn der Gebrauch der großen Anfangsbuchstaben von Haus aus keinen anderen Zweck hatte und haben konnte, als die Aufmerksamkeit auf ein vor andern beachtenswerthes Wort hinzulenken, es vor denselben hervorzuheben, so leuchtet ein, daß die jetzige Verwendung derselben zweckwidrig ist.“

Jedoch musste er auch erkennen:

„Die Verwendung großer Anfangsbuchstaben für die Substantiva und für alle Wörter, die substantivische Geltung annehmen, ist aber jetzt so allgemein, daß sie nicht mit einem Schlage abgeschafft werden kann.“ (Schleizer Duden, 1872, S. 61)

Nach Konrad Dudens Meinung gehörte die Großschreibung der Substantive abgeschafft, jedoch sollte sein großes Ziel, die einheitliche Rechtschreibung an dieser Frage nicht scheitern.

Die letzte Veröffentlichung Konrad Dudens als Direktor des Schleizer „Rutheneums“ zu Fragen der Rechtschreibung war die Abhandlung Versuch einer Interpunktionslehre für den Schulgebrauch, abgedruckt im Jahresbericht über das Schuljahr von Ostern 1875 – Ostern 1876. Hierin widmete sich Duden der Frage der Zeichensetzung, welche er vier Jahre zuvor in seinem Buch Die deutsche Rechtschreibung bewusst nicht behandelt hatte, da „eine irgend befriedigende Behandlung derselben ohne ein dem Zweck eines orthographischen Lehrbuchs doch fernliegendes Eingehn auf die Satzlehre nicht gut möglich sei.“

Sprachgrenzen-Erklärung - Zeichnung Klimpke

Dialekt- und Mundartgrenzen in der Region Schleiz (Zeichnung: Juergen K. Klimpke)

Zu dem oben bereits erwähnten Impuls zur intensiven Beschäftigung mit der Vereinheitlichung der Rechtschreibung könnte Konrad Duden noch ein weiterer Umstand bewegt haben, sich ausgerechnet in Schleiz mit der Einheit der Schrift zu befassen. Nur einen Katzensprung von Schleiz entfernt verlaufen eine markante Dialekt- und mehrere Mundartgrenzen (Fränkisch, Thüringisch, Vogtländisch-Sächsisch). Am „Rutheneum“ lernten Schüler, die mit ihren differierenden Sprechweisen die Schule zu einem Schmelztiegel der Dialekte werden ließen. Zudem ist überliefert, dass Dr. Konrad Duden auf seinem Pult immer ein kleines Büchlein hatte, in welches er die im Schulalltag gehörten sprachlichen Merkwürdigkeiten eintrug. Und davon gab es in einer Gegend, wo es mitunter gewisse Begriffe nur in einzelnen Dörfern gab, viel zu notieren. So sprach man damals das Wort Zwiebel im Umkreis von 20 Kilometern rund um Schleiz in folgenden Fassungen aus: Zwäibel (Schleiz), Zwiefel (Mühltroff), Zwäifel (Hirschberg), Zwibbel (Ziegenrück) und schließlich Zwiebel (Neustadt/Orla) (vgl. auch den Aufsatz von Reiner Petzold ab S. 100).

Der Artikel wurde zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift Heimat Thüringen 17,1 (2010).

Zum Weiterlesen

Konrad Duden: Die deutsche Rechtschreibung – Abhandlung, Regeln und Wörterverzeichniß mit etymologischen Angaben. („Schleizer Duden“), Verlag B. G. Teubner Leipzig, 1872.

Konrad Duden: Versuch einer Interpunktionslehre. In: Gymnasium zu Schleiz – Jahresbericht über das Schuljahr von Ostern 1875 – Ostern 1876, Schleiz 1876.

Juergen K. Klimpke: Dr. Konrad Duden, Gymnasialdirektor – Sieben Jahre in Schleiz : Das Wirken Dr. Konrad Dudens während seiner Zeit als Direktor des Gymnasiums „Rutheneum“ zu Schleiz 1869-1876. Schleiz 2011, 32 Seiten, 5,95 €,  ISBN 978-3-942586-98-6

Rainer Petzold: Mundarten und Mundartforschung im reußischen Oberland. In: Heimatjahrbuch 1993 des Landkreises Schleiz.

Wolfgang Ullrich Wurzel: Konrad Duden – Leben und Werk, BI & F.A. Brockhaus AG Mannheim 1998.

Zum Autor: Juergen K. Klimpke ist Bürgermeister der Stadt Schleiz, Kreisheimatpfleger des Saale-Orla-Kreises, Autor, Fotograf und Verleger.

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