Kultur des Sinnlichen

Ausstellung im Schiller-Museum Weimar und Forschungsprojekt

von Robert Eberhardt

Foto: Caren-Maria Jörß © Klassik Stiftung Weimar

Was verstehen wir eigentlich genau unter der epochalen Kunstperiode, die wir „Weimarer Klassik“ nennen, als deutsches Kulturgut erster Klasse bewahren und (teils) ehren? Meist ein eng definiertes Destillat, nämlich das Schrifttum, die literarischen und philosophischen Texte der großen Denker und Dichter der sogenannten Sattelzeit um 1800. Also Ideen, in Schrift und Druck zur Materie gebunden und weitergereicht.

Ein Forschungsprojekt der Klassik Stiftung Weimar und des Deutschen Forums für Kunstgeschichte widmet sich sehr sinnlichen Aspekten jener Kunstperiode, die über alle Moden hinweg auch noch in postmodernen Zeiten als Referenzzeit gilt. Die Ausstellung „Kultur des Sinnlichen“ im Weimarer Schiller-Museum präsentiert nun Ergebnisse dieser Forschungen (vom 16. März bis 10. Juni 2012).

Gemme in Ringfassung 18. Jh. Diente nicht nur der Kunstbetrachtung, sondern wurde auch zum Siegeln genutzt © Klassik Stiftung Weimar

Die angenehm überschaubare Ausstellung überzeugt durch ihre Gliederung und zeigt einige herausragende, nie gesehene und geradezu profanheilige Exponate aus den seit 200 Jahren verschlossenen Schränken der Dichter. Zu sehen sind Goethes Spazierstock (aus der letzten Palme der Akropolis geschnitzt), Tapetensammlungen, ein Studierbett, Gemmen und Handschriften, bei denen nicht der Inhalt interessiert, sondern die Ästhetik der Schriftbildlichkeit. Es sind allesamt keine bloßen Gebrauchsgegenstände, sondern Dinge, die vom Wünschen und Sinnen ihrer Nutzer und Sammler berichten, Manifestationen des Geistes. Es sind Zeugnisse von Ästheten, die ihr Leben, Wohnen, Sammeln nach schöngeistigen Idealen ordneten. Im bescheidenen Weimar ging das nur unter Verzicht, was den Charme der dortigen Objekte ausmacht. Aus Bronze wurde Gips und aus Marmor Pappmaschee. Professor Andreas Beyer definierte das (damalige) Weimar als eine „Kultur des Surrogats“.

Die materiellen Beschränkungen folgten dem ideellen Dilemma, denn das ideale Griechenland war fern und – das war klar und reflektiert – nur durch symbolische Aneignung wieder zu gewinnen. Die Reduktion war der Gewinn der Zeit. Das Subtile erfuhr durch die Beschränkungen ihren Wert. Die Weimarer Klassik war eine Kultur der Fassung, der Haltung über das Leben im Allgemeinen und seine Wohn- und Lebenssituation im Besonderen.

Tisch mit eingelassener Gesteinsplatte vor Goethes Reisebucheintrag. Foto: Caren-Maria Jörß © Klassik Stiftung Weimar

In seinem Reisetagebuch für Charlotte von Stein notierte Goethe 1776: „Du weißt, was die Gegenwart der Dinge zu mir spricht, und ich bin den ganzen Tag in einem Gespräch mit den Dingen“. Es ist die äußere Erscheinung eines Gegenstandes, der ihn maßgeblich definiert. Design kann zum Kult werden. Damals wie heute. Gegenwärtig erscheinen einige Ikonen der Gestaltung uneinholbar, manches Produktdesign regiert die Welt. Schiller bekannte in seiner Schrift zur ästhetischen Erziehung, dass das dingliche Umfeld einen Menschen erziehe. Genauso dachte Herder über Denkstile nach, die man an der Einrichtung von Wohnungen ableiten könne.

Zuckergemmen aus Goethes Besitz.
© Klassik Stiftung Weimar

Die kuriosesten Exponate der Schau sind einige wenige Zuckergemmen, die sich in den Archivfächern erhalten haben. Aus Zuckerpaste hergestellt imitieren sie römische Gemmen, sind in der Grundfläche farbig gefasst und waren damals eine beliebte Leckerei, die gustatorische Aufnahme antiken Erbes. Anlässlich der Ausstellung wurde die Produktion wieder aufgenommen. Für 3,50 Euro kann der Besucher dieses didaktische Schaugericht vernaschen. Und sich auf eine weitere Ausstellung freuen, die aus dem Forschungsprojekt hervorgeht und 2013 im Louvre in Paris gezeigt werden wird.

Einen die Ausstellungszeit überdauernden Einblick in die „Kultur des Sinnlichen“ vermag der begleitende Katalog zu geben. Auf über 350 Seiten finden sich zahlreiche Abbildungen der Exponate, ergänzt von sachkundigen kunstgeschichtlichen Aufsätzen. Unter ihnen hervorzuheben wäre etwa Johannes Graves Auseinandersetzung mit „Formen der Kunstbetrachtung bei Goethe“. Darin verschränkt der Autor eine Untersuchung klassischer Rezeption von Kunstwerken mit dem für Goethe relevanten Problem der Übersetzung optischer Eindrücke ins sprachliche Medium unter Berücksichtigung auch des Zeichners und Malers. Boris Roman Gibhardt gibt hingegen in einem zweiten sehr empfehlenswerten Beitrag („Materielle Innovation und ästhetische Opposition im klassischen Weimar“) ausgehend von einer Goethe-Novelle Aufschluss über den Blick der Klassiker auf das Möbelstück im Spannungsfeld zwischen Kunstgegenstand und Massenware. Die beiden Arbeiten seien als herausragende in einem ausgezeichneten Ausstellungskatalog allen an der Weimarer Sinneskultur Interessierten ausdrücklich ans Herz gelegt.

Informationen zur Ausstellung:

Adresse
Schiller-Museum mit Schillers Wohnhaus
Schillerstraße 12
99423 Weimar

Öffnungszeiten
Di Mi Do Fr So 09:00 – 18:00 Uhr
Sa 09:00 – 19:00 Uhr
Homepage

Zum Weiterlesen:

Weimarer Klassik. Kultur des Sinnlichen. Hg. von Sebastian Böhmer/Christiane Holm/Veronika Spinner/Thorsten Valk. Berlin/München: Klassik Stiftung Weimar und Deutscher Kunst Verlag 2012.  ISBN 978-3-422-07122-3, 29, 90 Euro.

Zum Autor: Robert Eberhardt, Student der Kunstgeschichte, Autor und Verleger des Wolff Verlags in Berlin, ist Vorsitzender der Gesellschaft Kulturerbe Thüringen e.V.

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